Rosinkawiese by Pausewang Gudrun
Autor:Pausewang, Gudrun [Pausewang, Gudrun]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00
Als das Kind drei Jahre alt wurde, ergriff uns Unruhe: Sollte Gudrun unser einziges Kind bleiben? Sollten wir uns von dem Traum einer Rosinkawiese voller Kinder trennen müssen? Warum kamen sie nicht? Wir erwarteten sie doch schon so ungeduldig.
Genug für heute.
Deine Tante Elfriede
11
Hartershausen, den 2. April 1979
Lieber Michael,
gestern war ein herrlicher Frühlingstag. Er weckte Erinnerungen an damals. Unsere Winter waren so entsetzlich lang, daß wir über die ersten Zeichen des Frühlings, über die ersten warmen Tage geradezu aus dem Häuschen gerieten. Derjenige von uns, der die erste Amsel singen hörte, rief die übrigen Hausbewohner zusammen, und wenn sich irgendwo im Garten ein Schneeglöckchen auftat, verkündete der Finder stolz seine Entdeckung. Weidenzweige wurden hereingeholt, damit sich die Kätzchen öffneten und mit Blütenstaub überzogen. Und kaum tauten die letzten Schneeflächen weg, bedeckten sich unsere Wiesen und die der Nachbarn mit einem weißen Hauch: unzählige Anemonen. Und die Grabenränder färbten sich gelb von den Blüten der Sumpfdotterblumen.
In jenem Jahr verließ uns unsere treue Gretel. Sie schied in aller Freundschaft von uns, und noch bis zum Kriegsende standen wir mit ihr in Kontakt. Danach verloren wir sie aus den Augen. Statt ihrer kam Marga zu uns, die uns und die Entwicklung unserer Rosinkawiese auch wieder ein paar Jahre lang begleitete. Sie kam aus Brünn. Deine Großmutter kannte sie und ihre Eltern gut und hatte ihr von uns erzählt. Darauf war sie neugierig geworden. Eigentlich flüchtete sie sich zu uns vor einem Beruf, der ihr nicht lag, denn ihre Eltern hatten sie in die Handelsschule geschickt, um sie als Sekretärin ausbilden zu lassen. Bei uns fand sie das Leben, das sie gesucht hatte. Daß wir ihr nur ein Taschengeld anbieten konnten, machte ihr nichts aus. Sie arbeitete nicht, um Geld zu verdienen. Andererseits sahen wir in ihr nie nur eine Hilfskraft. Wir besprachen mit ihr alle unsere Sorgen, vor allem: unseren Wunsch, unabhängig zu werden, niemanden um Geld bitten zu müssen.
Daß die Wichstädter und die Bewohner der umliegenden Dörfer uns zu Sonderlingen erklärten, weil sie unser Verhalten, unsere Experimente nicht begriffen und unseren Lebensstil als ihnen fremd empfanden, störte uns nicht. Wir fühlten uns stark genug, dieses Außenseiterdasein anzunehmen und zu ertragen. Aber daß es uns nicht gelang, uns von den Erträgen der Rosinkawiese zu erhalten, quälte uns.
Besonders die Winter lähmten uns. Da gab es reichlich Zeit und Gelegenheit, in trübe Grübeleien zu versinken. Während des Winters war es nicht möglich, durch intensive Arbeit die großen und kleinen Erfolge auf unserem Land sichtbar werden zu lassen.
Wie dankbar waren wir dann für jeden Besuch! Außer Erni und dem Kniemann, die auch im Winter ab und zu hereinschauten, kamen vor allem in der kalten Jahreszeit Leute zu uns, die selber eine Siedlung betrieben und sich mit uns beraten und Vergleiche ziehen wollten. Während des Frühlings und Sommers konnten sie ihre Felder und Gärten nicht verlassen.
Es kamen aber auch Leute, die erst vorhatten, eine Siedlung aufzubauen, und bei uns Rat und Orientierung suchten. Ich erinnere mich an endlose Grundsatzdiskussionen. Oft verlor man dabei das Wesentliche aus den Augen und stritt um Nebensächliches.
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